Anastasia (16J.) und ihr Sohn Dean (1,5 J.)
Als die Familienratskoordinatorin sich bei Anastasia (16 J.) meldet, lebt diese zusammen mit ihrem Sohn Dean (1,5 J.) seit ein paar Wochen in einer Eltern-Kind-Einrichtung. Anastasia wollte nicht in die Einrichtung ziehen, doch Zuhause mit ihrer Mutter eskalierte es und so gab es erst einmal keine bessere Lösung…
Anastasia sagt, sie sei noch nicht bereit Mutter zu sein und müsse erst einmal sich und ihr Leben auf die Reihe bekommen. Sie habe mit Depressionen zu kämpfen und konsumiere regelmäßig Drogen, um „den Kopf zu betäuben“. Ihre Mutter habe sie unterstützen wollen in der Versorgung und Erziehung von Dean, doch das habe nur zu Streitigkeiten geführt.
Als der Vorschlag kam, einen Familienrat zu machen, dachte Anastasia: „Schlimmer als jetzt kann es nicht werden, also wieso nicht“ und ließ sich darauf ein.
Eine Familie rückt zusammen
Anastasia hat viele Menschen um sich herum, die sich Sorgen um sie und Dean machen und helfen wollen. So kommen am Tag des Rates
Der Familienrat findet bei Tante Angelika und ihrem Mann Zuhause statt. Sie haben ein großes Haus mit Garten, sodass Dean und sein älterer Großcousin Jayden (8 J.) mit der Nachbarin im Garten spielen können, während der Familienrat tagt. Die Familie hat vor ein paar Jahren einen schweren Verlust erlitten, denn Anastasias Tante Susanne ist durch einen tragischen Unfall gestorben. Sie hinterließ ihren Sohn Jayden, der nun als Pflegekind bei Tante Angelika und ihrem Mann aufwächst. Auch damals ist die Familie zusammengerückt und hat gemeinsam entschieden, wie es für Jayden am besten weitergehen kann.
So auch heute wollen alle gemeinsam auf den kleinen Dean und seine junge Mutter schauen und überlegen, welche Lösung die Beste ist.
In der ersten Runde des Rates formuliert die Fachkraft aus dem Jugendamt ihre Sorge bezogen auf Dean und ihr Anliegen an den Familienrat: „Ich habe die Sorge, dass sich Dean nicht gut entwickeln wird ohne eine stabile Bezugsperson und ein stabiles Lebensumfeld. Anastasia ist eine junge, derzeit belastete Mutter, die (wie sie selbst sagt) erst noch in die Mutterrolle finden muss - doch Dean braucht jetzt schon die nötige Fürsorge um gut aufzuwachsen! Aus diesem Grund habe ich entschieden, dass Dean erst einmal in einer Pflegefamilie aufgenommen wird. Da ich weiß, dass Dean und Anastasia viele Menschen um sich herumhaben, die unterstützen könnten, frage ich Sie heute, welche Ideen haben Sie, wie Dean und Anastasia weiterhin gut im Kontakt bleiben können und wie das dann konkret aussehen kann, wer könnte die kleine Familie wie unterstützen?“
Die private Familienzeit tagt
Die Familie und eingeladene Gäste haben alle wichtigen Informationen erhalten, um in die private Familienzeit zu gehen und einen Plan für die Zukunft zu machen. Somit verabschieden sich die Fachkraft aus dem Jugendamt, die Pädagogin aus der Eltern-Kind-Einrichtung und auch die Koordination und geben dem Familienrat den nötigen „Freiraum“ zum Planen.
Es vergehen vier Stunden bis Anastasia die Koordination und die Kollegin aus dem Jugendamt zurück zum Rat rufen.
Als sie ankamen, merkten sie gleich, dass hier vier Stunden lang „geschufftet“ wurde…Köpfe waren rot, es war warme Luft im Raum, Zettel und Stifte lagen verteilt auf dem Tisch und alle redeten gelöst, aber auch erschöpft, miteinander.
Der Plan steht
Tante Angelika präsentierte der Jugendamtskollegin und der Koordination den Plan. Als wichtigstes Ergebnis berichtete sie, dass sie gemeinsam entschieden haben, dass Dean nicht in eine fremde Pflegefamilie kommt, sondern bei ihnen, Tante Angelika und ihrem Mann, in Pflege genommen wird. Sie erklärt weiter, dass ihnen bewusst sei, dass sie vor dem Familienrat gefragt wurden, ob sie Dean in Pflege nehmen wollen und hatten sich damals dagegen entschieden, weil sie fürchteten, dass sie mit fast 60 Jahren zu alt dafür wären.
Heute im Familienrat wurde ihnen jedoch bewusst, dass sie Anastasia damit auch die Chance geben, älter und reifer zu werden, um dann irgendwann ihre Mutterrolle ausfüllen zu können. Sie wollen bis dahin Dean aufnehmen, ihm die familiäre Liebe und Fürsorge schenken, die er braucht und so auch einen engen Kontakt zwischen Anastasia und ihrem Sohn jederzeit ermöglichen.
Die Fachkraft aus dem Jugendamt muss erst einmal tief durchatmen. Sie äußert, dass sie diese Entscheidung sehr beeindruckend findet und befürwortet, gibt jedoch zu, dass sie auch die Arbeit vor sich sieht, alles mit der Pflegefamilie wieder rückgängig zu machen.
Eine mutige Entscheidung zum Wohle des Kindes
Dieser Familienrat zeigt, welche Kräfte sich entwickeln, wenn Menschen, die sich einander wichtig sind, zusammenkommen. Anastasia und ihre Familie hatten die Kraft sich gegen eine Entscheidung des Jugendamtes zu stellen und haben das Wohl von Dean an erster Stelle gestellt.
Die Kollegin vom Jugendamt ist dem Standard des Familienrates treu geblieben, dass die Arbeit der Familie wertgeschätzt wird und sie das Recht haben, dass ihr Plan umgesetzt wird. So hat sie konsequente Teilhabe ermöglicht und eben auch das Wohl des Kindes an erster Stelle gestellt: „Ich hatte schon eine Pflegefamilie organisiert…aber die Lösung des Familienrates ist nun mal die bessere Lösung fürs Kind…“
(Familienratsstory aus Hamburg, Rebecca Borgehynck)